2010/10/10

Gemeinsam Räume öffnen

Seit ca. 20 Jahren bin ich unterwegs und erfrage Förderung und finanzielle Unterstützung für meine Ideen und Projekte. Für nahezu alle Projekte schreibe ich Anträge und Konzeptionen. Treffe Leute in maßgeblichen und weniger maßgeblichen Positionen, um sie zu interessieren, zu begeistern, zu überzeugen von der Notwendigkeit meiner Vorhaben. Immer wieder bemühe ich mich aufs Neue, mich zu erklären und meine Gedanken für mein Gegenüber nachvollziehbar zu machen. Das ist meist anstrengend, und fordert immer wieder ein hohes Maß an Selbstbehauptung und (oft vorgetäuschter) Souveränität.
Wenn keine Förderung stattfindet, ist man gezwungen, sich durchzuschlagen, zu improvisieren; muss man irgendwie versuchen, mit dieser Grund-Ungeschütztheit der Lebenssituation klarzukommen. Vielleicht lanciert man sofort das nächste Projekt, in der Hoffnung, dass es damit klappen könnte. Das Risiko künstlerisch, finanziell, oder gar gesundheitlich abzustürzen, ist dabei allgegenwärtig.
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Ich habe Anfang der 80er Jahre angefangen, in verschiedenen Gruppenkonstellationen Theater zu machen. Wir haben auf politischen Veranstaltungen theatrale Aktionen präsentiert. Meist dilettantisches, krude-unfertiges Zeug. Erst nach und nach hat eine Art Professionalisierung stattgefunden. Bis auf eine Ausnahme habe ich nie am Stadt- oder Staatstheater gearbeitet. Ich habe immer meine eigenen Projekte mit meiner eigenen Gruppe realisiert. Zu Themen, die aus meiner/unserer Perspektive relevant waren.
Sollte die Förderung für meine Projekte irgendwann komplett ausbleiben, werde ich vermutlich aufhören, Theaterproduktionen zu machen und mich einer anderen Form von Arbeit bzw. Überlebensstrategie zuwenden. Wie sich dabei meine Leidenschaft für das Theater transferieren lässt, wird sich zeigen.
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Was bei mir bis heute nicht stattgefunden hat, ist dieser Zug in die Mitte der Gesellschaft, dieses Sich-Einnisten in etablierten Bereichen, dort wo das Terrain zwar sicherer und geschützter ist, der Grad der Verstrickung mit dem jedoch auch zunimmt. Es hat biografisch bei mir keinen Impuls gegeben, der dorthin geführt hätte; es gab und gibt da keinen Magnetismus. Es gab stattdessen immer das Bedürfnis einer Behauptung des Eigenen: des eigenen Gedankens, des eigenen Verständnisses wie Nicht-Verständnisses, der eigenen Irrationalität, der eigenen Un-Coolheit, des eigenen kompositorischen Tableaus, der eigenen Sprache…
Was hat das mit Widerstand zu tun? Ich weiß es nicht. Impliziert der Akt des Widerstehens doch, dass Verlockung am Wirken ist. Ich vermute hier eher eine Art Kompatibilitätsproblem.
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Ich bin ein Gruppenarbeiter. Mit jeder neuen Produktion lade ich unterschiedliche Leute ein, mit mir zu einem bestimmten Thema in einen (hoffentlich) intensiven und zuweilen weitläufigen Dialog einzutreten. Die meisten Mitglieder von unitedOFFproductions arbeiten bereits seit vielen Jahren regelmäßig mit der Gruppe, ab und zu kommt jemand neues dazu. Trotz aller struktureller Unwägbarkeiten und Unsicherheiten geht es mir in den Arbeitsbeziehungen mit den Kollegen immer um Kontinuität, Verlässlichkeit und Dauer. Ich versuche einen zur Verfügung zu stellen wo jeder die Möglichkeit hat sich auf Augenhöhe mit den anderen einzubringen. Wo Dinge, Themen und Menschen in einer Atmosphäre von Offenheit und Respekt aufeinander treffen.
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Mir geht es heute nicht mehr so sehr nur um das Endergebnis eines Arbeitsprozesses. Mindestens genauso wichtig ist mir mittlerweile der Weg dorthin, also die Frage, ob man sich gegenseitig weiterbringt oder die Sorge darum, dass niemand unterwegs verloren geht. Ich denke, je weniger Schutz die Politik für unsere Leben bereitstellt, je enger die Räume werden, desto mehr sind wir aufgefordert, in unseren Lebens- und Arbeitsbereichen zu kooperieren, ein Auge aufeinander zu haben, Verantwortung zu übernehmen. Ich setze tatsächlich sehr auf diese kleinen, solidarischen Gemeinschaften, wo sich Leute gegenseitig ermutigen, Räume zu öffnen, verschiedene Möglichkeiten zu testen.
Ein Theaterabend kann den Fokus auf etwas oder jemanden richten, der oder das sonst out of focus bliebe. Er kann zutiefst verwirren - Verwirrung ist sehr wichtig. Wenn es gut läuft, schärft der Abend meine Wahrnehmung und provoziert eine Erschütterung oder gar Revision meines gerade träge dahinplätschernden Selbstverständnisses. Doch ich glaube, man sollte immer auch die Beziehungen und zwischenmenschlichen Strukturen, aus denen sich die Arbeit entwickelt, unter Beobachtung halten. Es gibt einen Song von Peter Tosh, da heißt es: „Live clean and let your works be seen“ - in diesem Sinne.

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